Segelschiff English Man O' War

Revell 05429 - 1/96

Vorbild: Die Bezeichnung Man O' War bezieht sich auf eine Gruppe von englischen (aber auch kontinentalen) Kriegsschiffen der elisabethanischen Epoche (1558 - 1603) Die englische Flotte wurde seit Heinrich VIII massiv aufgebaut, um sich gegen Spanien zu behaupten. Da die spanischen Schiffe (Karacken und Galeonen) damals als die besten der Welt galten, dienten sie den englischen Schiffsbaumeistern als Vorbild. So entstanden eine Reihe von Schiffen dieser Typen, erkennbar an dem hohen Kastell und den drei bis vier Masten. Bevorzugte man unter Heinrich noch die Karacken, welche im Unterschied zum spanischen Pendant sehr viel größer waren (zum Beispiel die Great Harry oder Mary Rose), baute man unter Elisabeth hauptsächlich Galeonen. Anders als ihre spanischen Vorbilder waren sie jedoch kleiner (und dadurch wendiger) und hatten eine bessere Bewaffnung. Es kamen Geschütze mit Radlafetten und Kastenbettung zum Einsatz, wobei die Radlafetten anfangs nur unter Deck aufgestellt wurden, während die leichteren Kaliber (meistens umgebaute Feldschlangen) in Kastenbettung mit zwei Laufrollen auf dem Oberdeck postiert waren. Berühmte Vertreter dieses Schiffstyps waren die Golden Hind und Revenge. Wie schlagkräftig die neue Flotte war, bewies sie, als die spanische Armada 1588 im Ärmelkanal auftauchte, um England zu erobern.

Bausatz: Revell hat seinen Bausatz der English Man O' War von 1974 wieder neu aufgelegt. Obwohl die Formen schon 45 Jahre auf dem Buckel haben, braucht sich der Bausatz nicht hinter aktuellen Produkten der Gattung Segelschiff verstecken. Im riesengroßen praktischen Stülpkarton mit einem Bild einer nicht näher benannten Galeone kommt der Bausatz zum Kunden. Nach dem Öffnen ist auch schnell klar, wieso der Karton so groß ist. Die riesigen Rumpfhälften, und Gussäste wollen schließlich untergebracht werden. Insgesamt hat der Bausatz 394 Teile (die hohe Zahl kommt natürlich auch durch die Blöcke und Jungfern für das laufende und stehende Gut zusammen), verteilt auf zwei braune, einen beigen und einen schwarzen großen Gussrahmen. In einem kleineren Tütchen liegen zwei Rahmen mit 40 Figuren, die aber für 1/96 definitiv zu groß sind. Den Maßstab würde ich eher bei 1/82 ansiedeln. Zumal es sich zumindest bei den Offizieren um spanische handelt (sie tragen den sogenannten Morion, während englische Offiziere die Sturmhaube bevorzugten).

Die Bauteile sind sauber gespritzt, und weisen relativ wenige Auswerfermarken und Grate im sichtbaren Bereich auf, welche sich aber relativ leicht entfernen lassen, da sie nicht sehr prägnant sind. Alle größeren Oberflächen besitzen eine schöne Holzmaserung, die, wenn sie beim Bau durch leichtes Anschleifen gebrochen und entsprechend lackiert werden, sehr natürlich aussieht. Sogar die Schanzkleider sind auf der Innenseite gemasert.

Segel liegen natürlich auch bei, allerdings als tiefgezogenes Plastik. Diese sollte man evtl. durch Stoff oder Japanpapier ersetzen. Die Flaggen und Wimpel liegen gedruckt auf Papier vor. Hier gilt eigentlich dasselbe wie bei den Segeln.

Selbstverständlich kann man die Segel auch weglassen, um die Takelage besser zu sehen. Dann sollte man aber auf jeden Fall die Rahen tiefer setzen (der Fehler, die Rahen auf der Höhe wie mit angeschlagenen Segeln zu montieren wird gerne gemacht).

Einige Bauteile, wie zum Beispiel die Kanonen, sind allerdings historisch nicht ganz korrekt, bzw. sehr vereinfacht. Insgesamt hätte das dargestellte Schiff 47 Kanonen, von denen aber nur 20 Stück sichtbar sind (alle auf dem Oberdeck). Hier ist dann wieder der Modellbauer gefragt, falls er alle Kanonen ausgerannt darstellen will.

Sehr gut gefällt mir, dass die Masten und großen Rahen aus zwei Hälften bestehen. Dadurch kann man einen passenden Draht oder Rohr einlegen, um die Stabilität gegen Durchbiegen erhöhen. Dies ist besonders wichtig, da durch die Takelage sehr große Kräfte auf das Bauteil einwirken, was ohne Verstärkung zwangsläufig zu Krümmungen führt. Die Wanten sind als Spritzling ausgeführt. Hier sollte man erwägen, diese durch selbst zu erstellende Wanten zu ersetzen, was allerdings ein sehr hoher Aufwand bedeutet, aber auf jeden Fall lohnt.

Des Weiteren liegt Garn in unterschiedlicher Farbe und Stärke für die Takelung bei. Kleiner Tipp am Rande. Man sollte das Garn ein wenig an einem Kerzenrest durchziehen, und danach ganz vorsichtig mit dem Feuerzeug erhitzen, um das Wachs am Garn zu verflüssigen. Dadurch wird das Garn etwas steifer (neigt damit dem gefürchteten Durchhängen im Laufe der Zeit entgegen), nimmt nicht so viel Staub auf, und die Struktur des Garns wirkt auch natürlicher.

Die Blöcke und Jungfern kann man natürlich auch durch bessere (aus Holz) aus dem Zubehörhandel ersetzen, was aber mit einigen Mehrkosten verbunden ist.

Bauanleitung/ Bemalung: Die Farbgebung an den Kastellen ist fiktiv, und keinem bestimmten Schiff zugeordnet. Alle Farben beziehen sich auf das hauseigene Farbsystem. Die Bauanleitung ist natürlich im neuen Revelldesign gehalten, und 48 Seiten stark! Allein 17 Seiten behandeln das Anbringen der Takelage. Des Weiteren gibt es noch einen kleinen Decalbogen mit dem E R Logo für das größte Segel.

Fazit: Vorab der Hinweis, dass dieser Bausatz nur etwas für Modellbauer mit genügend Platz ist. Immerhin bringt es das Schiff auf die stattliche Länge von 75 cm, bei einer Höhe von 63 cm, und ist damit neben der USS United States und Cutty Sark das größte von Revell angebotene Segelschiff!

Um dieses Schiff zu bauen, bedarf es doch einiges an Erfahrung im Modellbau, speziell im Segelschiffsbau. Auch sollte man sich über entsprechende Literatur oder das Internet mit den historisch korrekten Bestandteilen, bzw. Aussehen auseinandersetzen. Als Beispiel für das korrekte Aussehen mögen die Mastbetinge (die Balken vor den Masten, an denen die Taue festgemacht werden) dienen. Im Bausatz sind sie mit sogenannten Belegnägeln versehen, welche sich um 1600 aber noch nicht durchgesetzt hatten. Wer sich also so richtig austoben will, findet mit diesem Bausatz eine gute Grundlage. Aber auch stur aus der Schachtel gebaut, wird es ein imposantes Modell. In diesem Fall sollten auch nicht so geübte Modellbauer mit etwas Geduld ans Ziel kommen.

Zu beziehen ist dieser Bausatz im Spielzeugfachhandel oder bei Revell direkt.

Jürgen Bellenbaum, Dallgow-Döberitz (Dezember 2019)

Literaturhinweise:

Wolfram zu Mondfeld, Historische Schiffsmodelle, Mosaik Verlag