MODELLBAU - was ist das eigentlich?

von Friedrich W. Schiernbeck

"Ist doch klar!", meinen die schrecklichen Vereinfacher. "Man nimmt ein paar Teile, fügt sie zusammen, verteilt darauf etwas Farbe, und schon kann man mit einem Auto'chen durch die Sandkiste toben." Experten dagegen dozieren: "Modellbau ist eine Kunst, bei der neben Kreativität vor allem sehr viel Geduld, enorme Fingerfertigkeit und ausgeprägter Sachverstand gebraucht wird."

Nun, beide Extrempositionen vernachlässigen total den Spaß und die Befriedigung, die es macht, wenn man nach einer Zeit mit stillen Flüchen ein mit eigenen Händen geschaffenes, anfassbares und dazu noch vorzeigbares verkleinertes Abbild der Realität vor sich stehen hat, das zudem noch die Phantasie beflügelt. Und den Experten sei an dieser Stelle gesagt, auch sie haben einmal mit 'Zusammenpappen' angefangen, nur scheinen sie dies mit zunehmendem Alter zu verdrängen. Schauen wir uns doch mal an, wie 'naturgetreuer Modellbau ' die Modellbauerin (ja, auch die gibt's) oder den Modellbauer und deren Talente fordert. Das Wörtchen 'naturgetreu' ist deshalb wichtig, weil es hierbei in erster Linie um die kompromisslose verkleinerte Darstellung des Vorbilds geht und eben nicht um wirklichkeitsgetreue Funktionen, die meist modellbautechnische Kompromisse erfordern. Es geht hier eben nicht ums "Spielen", im Gegenteil, "spielende Hände" sind der Alptraum dieser Modellbauer! Wenn allerdings Funktionen ohne sichtbaren Kompromiss realisiert werden können, ist das ein zusätzliches modellbautechnisches Bonbon.

So geht's los

Was löst denn nun die Bastelwut aus? Generell gesagt: Interesse an der Umwelt. Interessant kann alles sein: Fahrzeuge, Gebäude, Personen und sogar Situationen aus Vergangenheit, Gegenwart und auch Zukunft. Ein triviales Beispiel hierfür ist der Wunsch, das eigene Auto in klein auf den Schreibtisch oder ins Regal stellen zu können.

Wissen ist gefragt

Dann beginnt die Detektivarbeit, die Recherche, und zwar in zweifacher Hinsicht. Das erste Problem ist, möglichst alles über das Original zu erfahren. Dies ist beim eigenen Auto vor der Tür noch recht einfach, aber wie ist es beim Streitwagen des Pharaos oder beim Raumschiff Enterprise? Hier ist Köpfchen angesagt zum Erschließen von Quellen: Druckerzeugnisse, Archive (von Hobbyfreunden, Firmen, Institutionen), Museen, Ausstellungen alles kann helfen, besser Bescheid zu wissen über Maße, Material, Aussehen, Historie, Varianten. Diese Recherchen können bis zu hinreichenden Informationen manchmal länger dauern als der eigentliche Modellbau.

Das zweite Problem ist die Auswahl des Maßstabs und der am Markt verfügbaren Bausätze und Teile, sofern man nicht alles selbst 'aus dem Vollen schnitzen' möchte. Die Maßstabfrage ist für Sammler und 'Profis' meist gelöst, enthält aber sonst durchaus brisante Punkte wie Platzangebot zum Aufstellen, Detailierung (bei großen Maßstäben mehr möglich und nötig), Marktangebot an Bausätzen und Zubehör sowie Material (beeinflusst Stabilität, notwendige Fertigkeiten und erforderliche Werkzeuge).

Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf den 'Plastikmodellbau', wobei für tolerantere Geister nicht nur Duro und Thermoplaste, sondern auch Gießharz und Zinn, manchmal sogar auch Papier akzeptabel sind. Maßstab und Modellobjekt (z. B. Auto, Schiff, Figur usw.) sollen hier auch nicht im Vordergrund stehen, denn ein geübter Modellbauer kann mit guten Unterlagen immer ein ansprechendes Modell herstellen (in seinem Spezialgebiet natürlich Spitzenmodelle!).

Zeit der Entscheidung

Vor dem ersten Griff zum Kleber kommt nun eine kreative Phase mit den zwei Entscheidungen, wie das fertige Modell aussehen soll und welche Änderungen am Bausatz dafür notwendig werden. Im einfachsten Fall kann man ein Modell "direkt aus dem Kasten" bauen, wenn die Qualität stimmt und die mitgelieferten Informationen ausreichen. So bin ich zu einer ganzen Reihe von "Test-Modellen" gekommen. Oft möchte man aber aufgrund der gesammelten Informationen ein ganz spezielles Modell bauen. Das kann eine geöffnete, statt geschlossener Tür sein, eine andere Motorvariante, eine unterschiedliche Körperhaltung, eine besondere Version oder auch "nur" ein anderer Anstrich mit anderen Kennzei-chen. Schon eine derartige Entscheidung kann zu mehr oder weniger umfangreichen Änderungen führen. Viele Änderungen sind aber Korrekturen und zusätzliche Detailierungen eines Bausatzes. Von löblichen Ausnahmen abgesehen ist nämlich kaum ein Bausatz perfekt, was daran liegt, dass Bausätze meist ein Kompromiss von Preis und von Genauigkeit sind. Jedes Mehr an Genauigkeit und Detaillierung macht Bausätze noch teurer, als sie sowieso schon sind.

Es nimmt Formen an

Jetzt ist sie da, die Phase des Modell-"Baus". Nun werden die Teile vom Gussast abgemacht und versäubert bzw. kontrolliert, was geändert werden muss oder soll. Hier ist die persönliche Erfahrung und Geschicklichkeit ganz wesentlich dafür, was man wie und womit ändert und wie man von vorgegebenen Montageanweisungen sinnvollerweise abweicht. Aufwand und Kreativität sind keine Grenzen gesetzt, es reicht vom einfachen Versäubern der Teile bis zur vollständigen Eigenanfertigung, vielleicht bis hin zum Einsatz von Spezialwerkzeugen und selbstentwickelten Montagevorrichtungen.

Benutzt wird dabei alles, was hilft, den originalgetreuen Eindruck zu erzielen: von Kugelschreiberminen als Grundkörper für Flugzeugraketen bis zu Linsen als Straßenbelag (ideal für runde "Katzenköpfe"). Hier kommt aber auch die vielfach gehasste Arbeit des Spachtelns und Schleifens auf einen zu, eine erhebliche Anforderung an die Geduld. Erleichtern kann man sich das Modellbauerleben durch Verwendung des Angebots von Kleinserienherstellern, die zu beliebten Bausätzen bereits fertige Umbausätze und auch eine Menge Zubehörteile anbieten, damit aber auch gleichzeitig das Portemonnaie erleichtern. Eins bleibt aber immer, mal mehr, mal weniger: dem Kleben folgt das Spachteln und Schleifen.

Jetzt wird's farbig

Über das ganze Bauen, Spachteln und Schleifen darf man nicht vergessen, dass auch noch Farbe ins Spiel kommt. Bei Ausstellungen sieht man immer wieder: Ein schlechter Anstrich versaut selbst ein hervorragend gebautes Modell.

Deshalb ist auch die Planung des Anstrichs wichtig, denn an manche Stellen kommt man später einfach nicht mehr heran. Auch die Methode des Farbauftrags, mit Pinsel oder mit Airbrush (eine Präzisionsspritzpistole), ist mit entscheidend für die Montagereihenfolge und weitere Arbeiten wie Abdecken (Maskieren) von Teilen. Im Handel sind eine Menge verschiedene, geeignete Farbarten erhältlich, auch bereits den Originalfarben nachgemischte Farbtöne. Hier schwört jeder auf "seine" Farbe, die er früher oder später bevorzugt (Experimente zur Weiterentwicklung einmal ausgeklammert). Zusätzlich ist eine alte Malerweisheit zu beachten: Nur auf einem perfekten Untergrund ist ein perfekter Anstrich möglich. In der Praxis bedeutet das, nach dem Schleifen und Spachteln ist noch eine Grundierung fällig, zumindest immer bei der Verwendung verschiedener Materialien als homogene Basis für gleichmäßige Farbwirkung.

Hier kann sich dann das künstlerische Talent voll entfalten. Es ist immer wieder faszinierend, welche Feinheiten manche Modellbauer noch mit dem Pinsel exakt hinbekommen, wo andere bereits zu gedruckten Abziehbildern greifen! Aber erst die Kennzeichen, Fahnen und Beschriftungen machen das Modell wirklichkeitsgetreu.

So, das Modell ist fertig! Noch nicht ganz, denn jetzt schlägt die Stunde der echten Freaks!!!!

Es darf noch mehr sein

Eine Grundplatte muss her, möglichst mit einer stilechten Umgebung für das Modell, am besten ein kleine Szene. Und "nur so" sieht das Modell viel zu neu aus! Also müssen Gebrauchsspuren, Rost, Beulen und Staub her, für Schiffe sogar Wasser. Es ist gar nicht so selten, dass fertige Modelle den Bohrer oder Lötkolben kennen lernen, damit Schussschäden oder Dellen entstehen. Hier ist wieder die Beobachtungsgabe und Geschicklichkeit gefordert, damit die Effekte auch echt wirken. Natürlich gibt auch hier der Farbauftrag erst den letzten Pfiff! Man könnte sagen, wie bei einem Film die Schauspieler kommen hier die Modelle zum Maskenbildner.

Das bringt's

All dieser Aufwand mal mehr, mal weniger steckt in den Modellen, wenn sie auf Ausstellungen wie denen der verschiedenen PlastikModellbauVereine in Deutschland bewundert werden. Haben Sie, lieber Leser, mitverfolgt, welche Eigenschaften hierbei angesprochen wurden? Hier nochmals in Kurzform: umweltinteressiert, neugierig, beharrlich, tolerant, kreativ, geschickt, genau, phantasievoll, künstlerisch und selbstkritisch. Und natürlich auch, aber nicht eben nur: die vielstrapazierte Geduld.

Doch über allem steht der Spaß am und der Stolz auf eigene Produkte, die in dieser Form niemals ein Spiel-zeug sein können.